Was schreibt man als Deutscher einem Griechen, dessen Vorfahren und Heimatdorf von der Wehrmacht und namentlich vom eigenen Großvater, auf brutalste Weise malträtiert worden waren? Wie wohlgesonnen kann dieser Grieche dem Deutschen sein, zumal sich die aktuelle deutsche Regierung in der Griechenland-Krise als überheblich und oberlehrerhaft aufspielt?
Lange Zeit unternahm ich nichts, um einen Kontakt herzustellen. Zu geringe Aussichten, zu pikant, falscher Zeitpunkt – Ausflüchte gab es stets. Anfang März 2017 fasste ich mir ein Herz und schrieb Giannis Skourtis auf Englisch an. Ihm versichernd, dass mir die Untaten der Deutschen in damaliger Zeit überaus leid täten, teilte ich ihm mit, ich sei der Enkel eines daran beteiligten Wehrmachtssoldaten. Vorsichtig fragte ich, ob er eventuell über weitere Informationen zu dessen Schicksal verfügte oder mir jemanden als Ansprechpartner nennen könne.
Eine Reaktion erwartete ich nicht.
Zwei Tage später wurde ich eines Besseren belehrt. Die Antwort auf meine eMail war voller Verständnis, Freundlichkeit und Herzenswärme. Giannis schrieb, dass „er wünsche, die Zeit zurückdrehen zu können, um diese schrecklichen Ereignisse ungeschehen zu machen“. Das Schicksal meines Großvaters und der anderen Soldaten bedauere er sehr. Dann, wie eine Vorankündigung und gleichsam ein Versprechen an zukünftige Begegnungen:
„I hope that through our communication we will have the chance to know each other better and one day that you will have the chance to come to Greece and visit Psari.“
Von diesem Tag an wurde unser Kontakt intensiver. Giannis ließ nichts unversucht, Details über die damaligen Ereignisse in Psari ans Tageslicht zu fördern. Er sprach mit Zeitzeugen (!), recherchierte in der griechischen Literatur, schickte Fotos und Berichte. Dank ihm enstand ein nahezu lückenloses Journal der ersten Tage im Juli 1944. Es war ein mehr als glücklicher Zufall, dass ich mit Giannis ausgerechnet den leidenschaftlichen Historiker des Ortes kontaktiert hatte.
Nur zu gern hätte ich mich erkenntlich gezeigt. Eine Quelle von Giannis‘ Verständnis mir gegenüber mag die Tatsache sein, dass auch sein Onkel ein Vermisster des Zweiten Weltkriegs ist. Seine sterblichen Überreste werden in den Bergen Albaniens vermutet. Ich versuchte im Gegenzug, Giannis bei seiner Suche zu helfen, konnte aber leider nicht viel ausrichten.
Während unserer Korrespondenz begannen wir beiläufig, uns über Privates auszutauschen. Familienfotos wechselten von der Nordsee an die Ägäis und zurück, wir tauschten Lebensziele und Träume unserer Kinder aus. So entstand mit der Zeit eine Freundschaft, deren Basis mehr beinhaltete als das gemeinsame Interesse an der Vergangenheit.
Als meine Frau Birthe und ich Ende 2017 den Sommerurlaub mit meiner Schwiegermutter Dagmar Neetzel (Elsfleth) und unseren Kindern Paul und Jette (14 und 15 Jahre alt) planten, waren wir uns mit dem Ziel schnell einig: Griechenland. Als Kompromiss an die Bedürfnisse aller wurde ein Hotel nahe der Küstenstadt Ermioni gewählt. Von dort aus sollte es für ein Wochenende nach Psari gehen, wo wir uns mit unseren griechischen Freunden verabredet hatten.